Die moralische Unschärfe
Die Heisenberg’sche Unschärferelation in der Quantenphysik besagt, dass zwei komplementäre Eigenschaften eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden können. Dies gilt beispielsweise für den Impuls p und den Ort q eines Teilchens, aber auch für dessen Energie E und Zeit t.
Δp x Δq ≥ h oder ΔE x Δt ≥ h
Ein Zustand ist erst dann bestimmt, wenn er eingetreten ist.
Die Vorhersagbarkeit, die im Kleinen nur in Grenzen von Wahrscheinlichkeiten möglich ist, wird sich im Großen nicht verbessern, wenn Größe nur durch Komplexität entsteht. Daraus lässt sich schließen, dass auch unser Handeln in plötzlich auftretenden Situationen nicht exakt vorhersagbar ist. Erst, wenn wir sie erlebt haben, können wir uns sicher sein. Bis zum Beweis gilt die Unsicherheit, die wir analog zur Quantenphysik als „Die moralische Unschärfe“ bezeichnen möchten. Im Gegensatz zur Quantenphysik, wo es sich um reell-wertige Abweichungen um einen Erwartungswert handelt, stellt sich die moralische Unschärfe im Rahmen diskreter Handlungsalternativen selbst dar.
Einen Vorschlag, wie trotz Unschärfe eine plausible Lösung aufgezeigt werden kann, macht Griffith in seinen „stimmigen Geschichten“ [Michel Houellebecq, „Elementarteilchen“ (Roman)]. Danach werden verschiedene Geschichten (oder auch mögliche Geschichten) zu bestimmten Zeitpunkten mit ihren Eigenschaften festgehalten, zu Abläufen zusammengefügt und widerspruchsfrei in die jeweilige interessierende Zeit übertragen. Dann ist es an uns, zu prüfen, welche Alternative am wahrscheinlichsten ist.
Wir anstelle unserer Eltern: Wie hätten wir uns anstelle unserer Eltern verhalten?
Aus Virtuelle Verrückungen (c) ALEPH-Consulting GmbH Verlag, (Leseprobe)